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Wiener Zeitung Artikel 30.10.2015

Ein Knochenjob

Gestorben wird immer – somit braucht die Bestattungsbranche keine Zukunftssorgen zu haben. Trotzdem ist es ein hartes Business.

 

Allerseelen und Allerheiligen sind für Georg Haas zwei ganz normale Arbeitstage. Denn erstens wird das ganze Jahr über gestorben (besonders häufig übrigens im Jänner), und zweitens gehören für den Geschäftsführer der Bestattung Himmelblau Wochenend und Feiertagsdienste zum Alltag.

 

Himmelblau, eines von insgesamt 22 Bestattungsunternehmen in Wien (der Markt wurde 2002 liberalisiert, wodurch die 1907 gegründete Bestattung Wien Konkurrenz bekam), wickelt mit 15 Mitarbeitern in drei Filialen etwa 500 Beisetzungen pro Jahr ab (von insgesamt rund 16.000 in Wien – rund 12.000 davon führt die Bestattung Wien mit rund 270 Mitarbeitern durch).

 

Der Markt ist hart umkämpft. Während es in ländlichen Regionen eine Art Gebietsschutz gibt – schon aus Gründen des limitierten Angebots an Bestattern –, tut man sich in einem Ballungsraum wie Wien leichter, verschiedene Dienstleister zu vergleichen. „Auf dem Land wären wir ein Riesenunternehmen, in der Hauptstadt hingegen sind wir eine eher kleine Firma im Vergleich zur Bestattung Wien.“ Viele Leute wissen gar nicht, dass es auch private Bestatter gibt, „und gewisse Dinge haben sich einfach eingebürgert, wahrscheinlich gar nicht böswillig, sondern aus Gewohnheit: Wenn Krankenschwestern, Ärzte oder Portiere Angehörigen von Verstorbenen für die weiteren Schritte die Kontaktdaten eines Bestatters in die Hand drücken, ist es in nahezu allen Fällen die Bestattung Wien. Und die Beratungsstellen der Bestattung Wien sind oft direkt in den Amtshäusern, wo man sich zum Beispiel die Sterbeurkunde holt, untergebracht, während für private Unternehmen dort keine Flächen frei sind.“ Grundsätzlich darf aber jeder Bestatter auf jedem Friedhof beisetzen. „Das funktioniert auch gut, da gibt es keine Probleme“, sagt Haas.

 

Gewisse Aufgaben sind aber in Wien nach wie vor in der Hand des Quasi-Monopolisten, kritisiert er: „Armenbegräbnisse – also Bestattungen auf Anordnung der MA15 – darf nur die Bestattung Wien durchführen. Da hat es einmal eine entsprechende Ausschreibung gegeben, die aber mehr oder weniger auf die Bestattung Wien zugeschnitten war.“ Die für die Ausschreibung zuständige MA 54 (Zentraler Einkauf) weist diesen Vorwurf entschieden zurück und verweist gleichzeitig darauf, dass mit der Bestattung Wien auch ein Anbieter zum Zug gekommen sei, der die Größe des Auftrags stemmen könne – schließlich gibt es in Wien rund 900 bis 1000 Begräbnissen auf Anordnung der Sanitätsbehörde pro Jahr. Dass die private Konkurrenz gern von diesem Kuchen mitnaschen würde, ist freilich verständlich. Denn natürlich sind selbst diese Bestattungen nicht ganz so billig. „Wenn man da nichts verdient, ist man im falschen Business. Aber da kommen wir nicht ran“, sagt Haas. Er macht der Bestattung Wien gar einen Vorwurf, denn „wenn wir diese Möglichkeit hätten, würden wir uns die ja auch nicht entgehen lassen“. Das sieht man auch bei der Bestattung Wien so: „Bei Begräbnissen auf Anordnung der Sanitätsbehörde sind wir nur Auftragnehmer“, wird dort betont.

 

Die MA 15 (Gesundheitsdienst der Stadt Wien) erklärt dazu übrigens, dass die Begrifflichkeit Armenbegräbnis so nicht ganz stimmt: „Gemäß Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz ist die Stadt Wien gesetzlich verpflichtet, ein Begräbnis zu veranlassen, sollte dieses binnen fünf Tagen von niemanden veranlasst worden sein.“ Die Stadt Wien ist auch nur dann verpflichtet, die Kosten dafür zu tragen, wenn sie weder durch Dritte geleistet noch aus der Verlassenschaft gedeckt werden können. Vom Ablauf her ist es laut Bestattung Wien „ein einfaches, aber würdiges Begräbnis“ mit Holzsarg, der in der Halle vorher aufgebahrt wird. Ist die Religionszugehörigkeit des Verstorbenen bekannt, ist auch ein Geistlicher dabei. Oft sind die einzigen Trauergäste tatsächlich nur die Totengräber. Die Begräbnisse finden allesamt auf dem Wiener Zentralfriedhof statt. Meldet sich nach der Bestattung doch noch ein Angehöriger, Nachbar oder Freund, der zu spät davon erfahren hat und eine andere Grabstätte für den Toten hätte, kann eine Umbettung veranlasst werden. Ansonsten ist die Grabruhe auf zehn Jahre befristet, danach wird das Grab aufgelassen und neu vergeben.

Die billigste Variante kostet 2000 Euro

Der Tod kostet also nicht nur das Leben, sondern auch viel Geld. Wobei Haas betont, dass private Bestatter nicht automatisch teurer sind als öffentliche: „Viele denken dabei an teure Privatspitäler und haben dann diese falsche Assoziation. Wir bieten auch bessere Beratung und reagieren flexibler auf Kundenwünsche – bei uns gibt es einen kostenlosen Kostenvoranschlag ohne Verpflichtung, was in der Branche nicht üblich ist. Wir haben auch keine Altlasten wie teure Beamte. Ein Punkt ist sicher auch, dass man als Marktneuling grundsätzlich günstiger sein muss, um sich durchzusetzen.“ Die billigste Variante bei Himmelblau – Abholung des Verstorbenen, Einsargung ohne Feier, Verbrennung, Urne – kostet etwa 2000 Euro. „Das ist aber die absolute Sparvariante“, sagt Haas. Wer an der Kostenschraube drehen möchte, könnte den Verstorbenen im Leichensack oder Kartonsarg bestatten lassen, in der Regel kommen aber schon Holzsärge zum Einsatz. Nach oben hin gibt es natürlich keine Grenzen – wer möchte, kann sich den Verstorbenen auch auf einem Ring in Form eines Diamanten an den Finger stecken (die Preise dafür bewegen sich bei bis zu 20.000 Euro). Ganz zu schweigen von der Ausgestaltung des Grabsteins. Für eine durchschnittliche Erdbestattung, bei der bereits ein Familiengrab vorhanden ist, sollte man jedenfalls mit 5000 Euro rechnen – neben dem Tarif des Bestatters fallen schließlich auch noch Gebühren für den jeweiligen Friedhof (hier variieren die Preise je nach Lage und vorhandenem Grab) an, dazu eventuelle Spitalskosten, Kosten der jeweiligen Religionsgemeinschaft, je nach Kundenwunsch auch noch Sänger, Steinmetze, Gärtner oder auch Druckkosten für Parten oder Gedenkbilder. In Wien herrscht zwar Bestattungspflicht – das heißt, um Beisetzung oder Einäscherung kommt man nicht herum –, nach einer Feuerbestattung darf man aber die Urne auch mit nach Hause nehmen, die Genehmigung dafür kostet rund 20 Euro. „Das machen mittlerweile viele Menschen“, erzählt Haas. Als Motiv dahinter sieht er weniger Sentimentalität, sondern eher die
Kosten. „Die Friedhofsgebühren sind in Wien exorbitant. Allein die Aufbahrungshalle kostet 416 Euro für eine halbe Stunde, rechnen Sie dann noch die Grabkosten und die Grabpflege dazu.“ Himmelblau würde sehr gerne auch selbst einen Friedhof betreiben, „damit wird in Wien das große Geschäft gemacht“. Doch dazu brauche es eine eigene Widmung, und die sei sehr schwer zu bekommen. „Wir dürfen zwar bestatten und bezahlen, aber nicht als private Friedhofsbetreiber tätig werden.“ Aus der zuständigen MA 40 (Soziales, Sozial und Gesundheitsrecht) heißt es dazu, dass bisher noch gar kein Privater einen Antrag für einen Friedhof gestellt habe. Und so viel Gewinn werfe ein Friedhof auch gar nicht ab. Derzeit sind 46 Friedhöfe in Wien im Eigentum der Friedhöfe Wien GmbH, die wiederum zur Bestattung und Friedhöfe Wien GmbH (insgesamt rund 900 Mitarbeiter) gehört. Daneben gibt es auch konfessionelle Friedhöfe wie den islamischen Friedhof in Liesing, den evangelischen Friedhof in Matzleinsdorf oder auch zahlreiche jüdische Friedhöfe in Wien, die im Eigentum der jeweiligen Glaubensgemeinschaft stehen.

Bestattungstrends setzen sich nur langsam durch

Laut Nicolas Snoy von der Wiener Wirtschaftskammer geht bei den Bestattungen der Trend hin zur Individualisierung mit immer mehr Sonderwünschen: Angehörige gestalten den Sarg mit; die Beisetzung wird auf einen Waldfriedhof oder in einen Urnengarten verlegt; Juweliere bieten Anhänger mit den Fingerabdrücken des lieben Verstorbenen an; das Unternehmen „Immer und Ewig“ zum Beispiel arbeitet die Asche von Verstorbenen in Glasskulpturen ein (www.immerundewig.com); Algordanza bietet Diamanten aus der Asche an (www.algordanza.com); und bei Skin46 Connective Tattoo könnte man sich den Verstorbenen sogar unter die Haut stechen lassen, denn das – eigentlich für lebende Pärchen gedachte – Prinzip, aus den Haaren den Kohlenstoff zu extrahieren und der Tinte beizufügen, ließe sich auch auf Tote anwenden (www.skin46.com). Freilich ist zu berücksichtigen, „dass solche Trends im Bestattungswesen nur sehr langsam fortschreiten“, meint Snoy. Der Großteil der Beisetzungen wird also immer noch konventionell seitens der Angehörigen gemeinsam mit dem Bestatter geplant und durchgeführt. Die Zahl der Naturbestattungen etwa nimmt zwar zu, der Anteil bewegt sich aber immer noch im einstelligen Prozentbereich. In Wien ist das Verhältnis zwischen Erdbestattungen und Einäscherungen etwa 72 zu 28 Prozent. Letztere sind um etwa 500 Euro billiger. Die meisten Naturbestattungen setzen übrigens eine Verbrennung voraus. Zu den Wiener Friedhöfen gibt es übrigens seit einiger Zeit auch einen „ÖkoBusinessPlan“. Denn sie dienen ja nicht nur als reiner Trauer- und Bestattungsort, sondern sind auch ein nicht unwesentlicher Teil der grünen Lunge der Stadt, ein Rückzugsort für diverse Tierarten, von denen manche sogar unter Artenschutz stehen. Es gibt dort auch verschiedene Projekte wie die Ansiedlung von Bienen oder Nistkästen für bedrohte Vogelarten. Und auch für manche Zweibeiner sind die Wiener Friedhöfe beliebte Erholungsgebiete.

Wird nicht bezahlt, muss der Totengräber nochmal ran

Die meisten verirren sich freilich nur einmal im Jahr, nämlich rund um Allerheiligen, zu den Gräbern ihrer verstorbenen Angehörigen auf den Friedhof. Doch auch in der übrigen Zeit fallen laufende Kosten an: Während ein Erdurnengrab ohne Deckplatte je nach Friedhof zwischen 25 und 50 Euro pro Jahr kostet, sind es bei einem Sarggrab mit Deckplatte schon 120 bis 170 Euro. Die Neuvergabe eines Urnengrabs kostet 165 Euro, ein Sarggrab kommt auf 445 Euro. Die Bestattung selbst kostet dann noch einmal 90 bis 150 Euro (Urne) beziehungsweise 250 bis 550 Euro (Sarg). Wird das Grabentgelt nicht mehr einbezahlt und nicht aktiv der Wunsch geäußert, das Grab zurückzugeben, machen die Friedhöfe Wien den Kunden darauf aufmerksam – sofern sie aktuelle Kontaktdaten haben. Da sie keinen Zugriff auf das Melderegister haben, kann sich dies schwierig gestalten. Reagiert der Kund nicht innerhalb eines gewissen Zeitraums, wird das Grab neu vergeben. Eventuell im Grab befindliche Verstorbene werden vorher unter die sogenannte Grabsohle (2,80 Meter) gebettet.

 

Es ist Knochenarbeit, die hier erledigt wird, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Deshalb muss nicht nur das physische, sondern auch und vor allem das psychische Grundgerüst von Friedhofsbestattern stabil sein, um den großen Belastungen des Berufs standzuhalten. Außerdem darf ihnen der Umgang mit Menschen in Ausnahmesituationen selbst nicht zu nahe gehen. Und als Bestatter braucht man auch ein gewisses Organisationsgeschickt, um für die Angehörigen die jeweils bestmögliche Trauerfeier durchzuführen. Mittlerweile gibt es eine eigene Bestatterakademie, die einheitliche Ausbildungsstandards garantiert und Fortbildungen anbietet (www.bestatterakademie.at). Snoy hält den Beruf als Bestatter durchaus für zukunftsträchtig und auch abwechslungsreich. „Klar ist aber auch, dass das Bestattungswesen einen Markt bedient, der nicht beliebig erweiterbar ist, daher können auch marktwirtschaftlich gesehen nicht beliebig viele Unternehmen kostendeckend am Marktgeschehen teilnehmen. Dies muss Menschen, die ihre berufliche Zukunft in der Bestattung sehen, von Anfang an bewusst sein.“

HAUSBESUCHE