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VICE Artikel 02.03.2017

Spiel mir das Lied zum Tod.

Über den eigenen Tod nachzudenken, ist seltsam. Ich stell mir dann immer vor, wie all meine Freunde versammelt sind und um mich weinen. Ganz alte, fast vergessene Freunde sind gekommen, sowie alle meine engsten Wegbegleiter und viele Bekannte. Ich überlege mir, wie all meine Verflossenen mit Tränen überströmt an meinem Sarg stehen und es nun doch endlich bereuen, mich nicht als die Eine wahrgenommen zu haben.

 

Dann denke ich an meine Familie, an meine Mutter und an meinen Bruder und das ist dann eigentlich so der Punkt, an dem ich mit dem Ausmalen des Beerdigung-Szenarios aufhöre. Weil es mir dann sehr weh tut, mir vorzustellen wie traurig sie wären – wie traurig es auch ist, dass ich nicht mehr bei ihnen sein kann – es ist einfach das traurigste auf der Welt, wenn ein Mensch von uns geht. Das sind die Dinge, an die man eben dabei denkt. Aber ich habe nie darüber nachgedacht, welche Musik dabei eigentlich gespielt werden sollte.

 

In Amerika hat Spotify vor etwa zwei Wochen einen Spot auf Youtube gestellt, in dem auf eine Playlist einer Abonnentin zurückgegriffen wurde, mit dem Titel Play this at my Funeral. Das Interessante an der Playlist ist, dass die Band DNCE sich unter anderem mit ihren Track „Body Moves“ wiederfinden konnte. Ein Lied, das man durch seine Upbeat-Stimmung nicht unbedingt auf einer Beerdigung erwartet und mit den „Friedhof Top-3“ Hits der Österreicher nichts gemein hat. Ich habe nämlich Flo, der bei der Bestattung Wien gearbeitet hat und ab und zu noch aushilft gefragt, was so der wienerische Usus in Sachen Liederauswahl bei Beerdigungen ist.

 

Spontan fällt ihm Andreas Gabalier ein, der sich mit seinem „Amoi Seg‘ Ma Uns Wieder“ ziemlich beliebt gemacht hat. Dann meint er, es würden ihm nur noch die Klassiker „Ave Maria“ und „My Way“ einfallen: „Also meiner Erfahrung nach sind Beerdigungen in Wien und Wien Umgebung eher sehr unpersönlich“. Auch Andrea Kolmitzer von der Bestattung Himmelblau fallen im ersten Moment nur die schon erwähnten Klassiker sowie Gabalier ein.

 

Ich war in meinem Leben noch nicht auf vielen Beerdigungen – glücklicherweise. Ich erinnere mich an die, die meine Mutter organisieren musste. Einmal für ihre verstorbene beste Freundin und einmal für meinen Opa. Beide Male hat sie dafür gesorgt, dass beim Auszug mit dem Sarg sehr persönliche Lieder von dem jeweiligen Ablebenden gespielt wurden. Die „Swing Low Sweet Chariot“-Version von Eric Clapton wurde gespielt, als ihre beste Freundin zu Grabe getragen wurde. Es war zu Lebzeiten ihr absolutes Lieblingslied. Weshalb es mich zuerst immer an die Beerdigung erinnern wird. Aber anschließend an die vielen Abende, an denen ich meiner Mutter und ihrer besten Freundin, sowie weiteren Freunden von meinem Zimmer aus belauschen konnte und sie immer wieder sagen hörte: „Wisst ihr welches Lied wir schon lange nicht mehr gehört haben?“ und dann haben sie alle immer gelacht und es gespielt.

 

Es ist bis heute eines meiner nostalgischen Lieblingslieder, weil es mich an schöne und glückliche Zeiten erinnert. Hätte es stattdessen „Ave Maria“ gespielt, hätten meine Synapsen im Gehirn vermutlich nichts getan, um Verbindungen zu gewissen Erinnerungen herzustellen. Denn meiner Meinung nach ist dieses Lied für viele vielleicht zu unpersönlich. Weder die beste Freundin meiner Mutter noch ich waren je in der Mediterranée Operette, aus der man das Lied kennt.

 

In der Unterhaltung mit Andrea Kolmitzer stellen wir uns beide die Frage, warum man so einem traurigen Ereignis mit trauriger Musik, eigentlich noch mehr Salz in die Wunde streut. „Ja, Musik kann sehr traurig machen, ich sag dann schon oft, dass zumindest für den Auszug, also wenn der Sarg nach draußen getragen wird, die Hinterbliebenen zumindest etwas Heiteres auswählen sollten. Viele glauben, sie müssen etwas Trauriges spielen lassen, weil das sonst vielleicht komisch rüber kommt“, sagt Andrea.

 

Damit das in Zukunft einfach anders aussieht, sollten wir alle auf irgendeiner Musik-Plattform eine Spielt das bitte auf meiner Beerdigung-Playlist erstellen. Gleich eine stundenlange, damit auch für den Leichenschmaus anschließend noch genug Material vorhanden ist. Lieder, die uns mit den verschiedenen etwaigen Gästen unserer Beerdigung in Verbindung bringen. Um sie noch einmal daran zu erinnern, dass ein Ableben nicht bedeutet, dass die wichtigen Erinnerungen mit uns gehen.

 

Andrea Kolmitzer lässt mich auch wissen, dass Musikwünsche abgeben bisher eher die Ausnahme als die Regel ist: „Mir persönlich ist noch niemand untergekommen, der sich als Vorsorgender ein Lied gewünscht hätte. Das heißt jetzt aber nicht, dass es das gar nicht gibt.“

 

Wie es wohl wäre, wenn sich jemand explizit Rammstein wünschen würde, habe ich sie gefragt: „Vielleicht hat sogar schon mal jemand bei uns Rammstein spielen lassen, aber ich bin mir nicht sicher. Rammstein ist schon heftig. Es hängt halt wirklich davon ab, wer der Verstorbene war.“ Und da finde ich meine Bestätigung, denn wenn jemand Rammstein geliebt hat, wieso sollten wir nicht noch einmal das liebende Rammstein-Wesen etwas aufleben lassen?

 

„Ich kann mir gut vorstellen, wenn Spotify damit Werbung macht, dass es dann schon sein kann, dass sie damit die Leute zum Nachdenken anregen, ohne dass man jetzt unbedingt mit jemanden darüber reden muss“, sagt Kolmitzer, „denn Pläne zu schmieden für den eigenen Tod, ist eine große Überwindung. Weil viele dann das Gefühl haben, sie schließen einen Pakt mit dem Tod. Da die Leute generell nicht sehr offen sind für diese Vorsorgegespräche, ist es komisch, über das eigene Sterben zu reden.“ In ihrer Playlist wäre übrigens „I Feel Love“ von Donna Summer und in der von meinem Kumpel Flo wäre „In My Time Of Dying“ von Led Zeppelin dabei.

 

Wäre es nicht irgendwie eine zum Weinen schöne Angelegenheit, wenn künftig bei den Bestattungsunternehmen die Frage gestellt wird: „Hat der Verstorbene vielleicht irgendwo eine Playlist für seine Beerdigung deponiert?“ Das letzte Erbe, die letzte Message an seine Leute. Schöne Erinnerungen, die mit der „Play“-Taste auf Knopfdruck abrufbar wären. Willst du also, dass nicht Gabalier auf deiner eigenen Beerdigung gespielt wird, solltest du dich jetzt schon selber darum kümmern.

 

Denn wenn die Hinterbliebenen die Musikstücke auswählen müssen, ist das oft nicht so einfach laut Andrea Kolmitzer: „Als Angehöriger muss man viel mitbedenken. Da man auch unter einem gewissen Druck steht, weil alle Leute einfach Erwartungen haben.“ Wie etwa die Mizzitant, die man nicht verschrecken will.

 

Ich sage ihr dann im Gespräch, dass ich in meiner Playlist auf jeden Fall Rammstein rein geben werde. „Ja, irgendwer muss ja damit anfangen!“, antwortet sie mir schmunzelnd.

HAUSBESUCHE