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NEWS.at Artikel 14.06.2018
Meinen Job will niemand machen
Sie sind Helden des Arbeitsmarktes. Drei Menschen erzählen die Geschichte ihres Berufslebens. Warum sie genau die Arbeit machen, vor der sich andere drücken. Wieso sie ihre Stellen um nichts in der Welt hergeben würden. Und warum das auch andere so sehen sollten.
Über das Thema spricht keiner gerne, der bloße Gedanke daran ist manchen schon zu viel. Sterben ist noch immer ein Tabu in der Gesellschaft. André sieht das anders: „Der Tod ist ein Teil des Lebens und sollte auch so behandelt werden.“ Das gilt auch für sein eigenes Dasein. Der 25-Jährige ist seit zweieinhalb Jahren bei dem privaten Wiener Bestattungsunternehmen Himmelblau tätig und beschäftigt sich 40 Stunden in der Woche mit den Toten.
Tatsächlich ist Bestatter nicht so ein trostloser Job, wie ihn sich manche vorstellen, sondern sogar abwechslungsreich. Vor allem, weil die 25 Fixangestellten bei Himmelblau so gut wie alles – vom Abholen des Toten bis zur Beerdigung – machen, sagt Geschäftsführer Georg Haas. Dennoch sei es schwierig, gute Mitarbeiter zu finden: „Für das Sekretariat bekommen wir viele Bewerbungen, auch die Beratung ist gut zu besetzen. Darüber hinaus wird es schwierig. Es ist eben kein Job, den jeder gerne macht.“ Daher sei es schön, dass viele Mitarbeiter über familiäre Bande ins Unternehmen rutschen, wie das auch bei André der Fall war: „Allerdings erzählen manche im Bekanntenkreis nicht so genau, was sie den ganzen Tag tun“, so Haas.
Gut bezahlt
Dabei ist der Beruf für viele vom Arbeitsmarkt Vergessene ideal: „Es braucht keine Ausbildung, nur einfühlsam sollte man sein“, sagt der Himmelblau-Chef. Immerhin verspreche man den Angehörigen, dass der Verstorbene wie ein Familienmitglied behandelt werde. Ein solcher Einsatz werde auch belohnt: „Der Job ist mit 2.000 Euro brutto im Monat gut bezahlt.“
Ein anderer Beruf, wo die Ausbildung zur Nebensache verkommt, ist in der Reinigungsbranche zu finden. „Wir verlangen von unseren Mitarbeitern ein Mindestmaß an Schulbildung sowie Kenntnisse der deutschen Sprache“, sagt der Chef der Facility-Management-Gruppe Reiwag, Viktor Wagner. Wie bei den Mitbewerbern sind 80 Prozent Frauen, die für Putzarbeiten (Kollektivvertragslohn von 8,68 Euro brutto in der Stunde) in Unternehmen geschickt werden – vorwiegend Nichtösterreicherinnen. Bewerbungen kämen „jeden Tag“, sagt Wagner: „Wir haben fast keine Fluktuation, tun aber auch einiges dafür.“
Die Anforderungen für Reinigungsarbeiten hätten sich zudem gewandelt. Dazu zählt, dass man sich vermehrt um Vollzeitkräfte bemüht. Außerdem wird mit immer mehr Kunden vereinbart, dass in deren Arbeitszeit gearbeitet werden kann. „Das spart Energie und führt zu einer garantierten Beschwerdefreiheit, wenn eine Ansprechpartnerin vor Ort ist“, so Wagner.
In Ruhe arbeiten
Von einem solchen Arrangement profitiert auch Bozica. Seit 1991 arbeitet die gebürtige Bosnierin für die Reinigungssparte der Reiwag, seit 2010 ist sie mit der Betreuung eines Autohauses beauftragt. Dass die 50-Jährige tagsüber dort ist, findet sie gut: „Hier kennen mich alle und ich kann trotzdem in Ruhe meine Arbeit machen.“ Ihrem Arbeitgeber Reiwag fühlt Bozica sich sehr verbunden und hofft, bis zur Pension bleiben zu können. Auch deshalb, weil ihr der Job Spaß macht. Ein realistisches Vorhaben, wie Wagner versichert: „Wir haben viele ältere Mitarbeiter, das bringt nur Vorteile.“ Dass zwischen Mitarbeitern und Unternehmen ein Grundvertrauen besteht, beweist die Tatsache, dass auch Bozicas Ehemann, ein Maurer, seit Jahren für die Firma tätig ist: Begonnen hat er als Reinigungskraft, jetzt ist er Fensterputzer.
Strenge Regeln
Auch in der Sicherheitsbranche spielen Schul- und Ausbildung keine große Rolle. „Motivation, ein guter Leumund und eine sicherheitspolizeiliche Überprüfung“ seien die Voraussetzungen für eine Stelle beim Wachdienst, sagt ÖWD-Direktor Alexander Kiss: „Irgendeine Art von Lehr- oder Schulabschluss sowie Deutschkenntnisse setzen wir voraus – immerhin muss der Mitarbeiter in Notsituationen kommunizieren können.“ Danach gelten „sehr strenge Regeln“, so Kiss: „Unsere Vorstellungen sind an die der Exekutive angelehnt.“ So seien die Eigentümer des Familienunternehmens „komplett humorlos, was rechtsextremes Gedankengut betrifft“. Passe hingegen alles, könne der Mitarbeiter, je nach Verwendung, mit 1.200 bis 1.300 Euro netto (inklusive Zulagen) im Monat rechnen.
Solche und ähnliche Hürden hat Gerhard bei seiner Einstellung mit Bravour genommen. Der 48-Jährige ist seit 2010 für den ÖWD als Großkundenbetreuer tätig und kann sich sowohl auf eine kaufmännische Ausbildung als auch auf eine Vergangenheit als Sicherheitsberater berufen. Gerhard ist stolz auf die technischen Entwicklungen im Sicherheitssektor. Solche Innovationen kommen nicht nur den Kunden zugute, sondern machen auch die eigene Arbeit spannend. „Wir haben sehr viele Bewerbungen im hochqualifizierten Bereich, im niedrigqualifizierten hingegen viel zu wenige“, sagt Kiss: „Vor allem haben wir leider viel zu wenige Frauen, obwohl Frauen bei uns wirklich jeder Karriereweg offensteht.“
Boomende Branchen
Das große Problem von Bestattung, Reinigungsbranche und Wachdienst ist freilich ihr schlechtes Image in der Bevölkerung. Putzen und Aufpassen würde für manche im Notfall ja noch gehen, aber mit Toten will keiner etwas zu tun haben. Dabei sind alle drei Dienstleistungsberufe in boomenden Sektoren, die in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit (Ende April waren 384.486 Personen als arbeitssuchend gemeldet) für 179.273 Menschen, die maximal einen Pflichtschulabschluss vorweisen können, echte Chancen bieten. Das scheint aber noch nicht bei den Arbeitslosen angekommen zu sein. „Im Wachdienst gibt es offene Stellen, der Beruf gilt aber als unattraktiv“, sagt AMS-Vorstand Herbert Buchinger. Auch für Reinigungskräfte gebe es „vergleichsweise viele Jobs“, die viel zu wenig angenommen werden, während Bestatter so gut wie nie in offiziellen Kanälen gesucht werden.
André, Bozica und Gerhard sind jedenfalls stolz auf ihre Jobs. Dass es tatsächlich Menschen gibt, die berufliche Möglichkeiten, wie sie sich ihnen bieten, ablehnen, ist für sie kaum zu glauben. Auch wenn André selbstkritisch anmerkt: „Ich verstehe, dass meinen Job niemand machen will.“ Nachsatz: „Allerdings sollte man es vielleicht erst einmal ausprobieren, er ist nämlich ziemlich cool.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 22 2018